Mont-Saint-Michel, Normandie

Zita Oberwalder: Vitrine en Cours

Paris 2020 (unfinished): Zu einem Photo Essay von Zita Oberwalder in Zusammenarbeit mit Hannes Mitterberger

12.5.2021–15.6.2021

Di, Mi, Do 15-18 Uhr

"Vitrine en Cours/Auslage in Arbeit" von Zita Oberwalder in Kollaboration mit Hannes Mitterberger ist ein fotografischer Essay über Paris, ein neuer Teil des Projekts "Hotel Europa". Zita Oberwalder fotografiert städtische Situationen jenseits der Klischees über die französische Hauptstadt. Ihre Bildfolgen erschließen, wie sich in einer Megastadt des Anthropozän Monumentales und Peripheres miteinander verbinden. Utopien werden zu Nicht-Orten und umgekehrt. Eine Ebene der Arbeit bilden die Spuren des Lebens von Emigrantinnen und Emigranten in Paris. In ihrer Unabgeschlossenheit laden die Fotografien die Betrachtenden ein, eigene Wege durch das Buch und die Stadt zu finden.

Wir präsentieren, reflektieren und kommentieren Zita Oberwalders in Zusammenarbeit mit Hannes Mitterberger als Buch gestalteten Essay in unserer ersten Ausstellung nach dem langen Lockdown. Die Vernissage gehört zum Programm der Galerientage 2021. Wir laden zum Zusammenkommen vor dem Galerieraum in der Griesgasse 31 ein. Abhängig von der epidemiologischen Situation werden wir festlegen, wieviele Personen gleichzeitig den Ausstellungsraum besuchen können.

Zita Oberwalder ist bekannt für ihre analogen Schwarzweiß-Fotografien mit Mittelformat-Kameras sowie für konzeptionelle Foto-Essays. Sie lebt in Graz, wobei das Reisen ein wesentlicher Bestandteil ihres kreativen Prozesses ist.






Zur Ausstellung

In Zita Oberwalders Bildern ist der Blick auf das Dargestellte nie selbstverständlich. Sie zeigen immer auch, dass wir nur in einem Moment, durch Glück und durch die Arbeit der Fotografin, sehen können, was wir sehen.

Fast in allen der Paris-Fotos des Projekts Vitrine en Cours schneiden urbane Bauten und Strukturen den Blick ab. Er stoppt oft schon in der Nähe bei – nicht immer ganz geschlossenen – Wänden und Gebäuden, er richtet sich dabei fast immer von unten nach oben. Dabei fällt er auf verschiedene Schichten oder Texturen der urbanen Realität. Immer wieder öffnen sich innerhalb der extensiv erfassten städtischen Strukturen Zonen, die durch Helligkeit, organische Formen, Spiegelungen und Strukturreichtum eine gesteigerte optische Intensität besitzen. Intensive Helligkeit und intensive Dunkelheit, Figur und Hintergrund, Positiv und Negativ können dabei ineinander umschlagen.

Man sieht auf dieser Fotos fast nie Menschen, aber Gebäude und Artefakte, die auf Bewohnerinnen und Bewohner, Gestalterinnen und Gestalterinnen, hinweisen. Die Gebäude sind Elemente einer nicht endenden urbanen Landschaft, in die sie, entfernt vom Zentrum und den älteren Vierteln der Stadt, Kreise schlagen: ineinander eingebettete Peripherien, die nicht erkennen lassen, wie viele weitere Peripherien folgen. Das Ganze, das die Gebäude, Szenen und Plätze metonymisch (pars pro toto, der Teil für das Ganze) bedeuten, kann man mit Paris identifizieren, wenn man sich in dieser Paris gewidmeten Ausstellung oder in dem Paris gewidmeten Buch Vitrine en Cours bewegt – wenn man also weiß, dass diese Aufnahmen in Paris gemacht wurden. So wie die Bilder textuell, durch ihre wiederkehrenden Elemente zusammenhängen, so stehen sie auch alle zusammen für dieses Paris, das unsichtbar bleibt.

Es gehört zur Ambivalenz dieser Fotos, dass sie auf Akteure verweisen, dass sich aber das Ensemble "Paris" diesen Akteuren und auch der anderen, immer präsenten Akteurin, der Fotografin, entzieht. Die Gebäude stehen nicht für das Wesen einer Stadt, einen wiedererkennbaren Archetyp, etwas "Typisches", sondern sie verweisen auf eine besondere, nicht überschaubare Geschichte, in der ihre Urheberinnen und Urheber nur momenthaft agieren konnten und können. Zita Oberwalder zeigt Bauen als Teil einer nicht festschreibbaren Geschichte, hier der Geschichte von Paris, aber in ihrem Projekt Hotel Europa insgesamt auch der Geschichte Europas.

Zu der literarischen, kulturell vorgegebenen Bedeutung vieler dieser Bauten gehört eine utopische Intention, in der sich Modernität und technokratische Mobilisisierung von Material und Energie miteinander verbinden. Das gilt für die neue Bibliothèque nationale, die Bauten Bofills wie das Quartier Les Nuages. Die Peripherien erschließen Nicht-Orte: Orte, die nicht das Zentrum sind oder es wiederholen, und auch Orte einer anderen, egalitären, spirituellen oder mit der Natur – dem Wald innerhalb der Bibliothèque nationale, den Wolken auf den Türmen Aillauds – versöhnten Zukunft. Als solche Nicht-Orte korrespondieren sie mit den Nicht-Orten der Emigration, die entfernt sind von den Orten, welche die Emigrantinnen und Emigranten verlassen mussten, und die für eine Alternative zu der Existenz unter den Gewaltverhältnissen stehen, vor denen sie fliehen mussten. So wie die gebauten Utopien heute monumentale Details einer Megastadt sind, deren Wachstum ein Element der Great Acceleration des Anthropozän ist und anderen Regeln gehorcht als den Intentionen der Stadtplaner des späten 20. Jahrhunderts, so erinnern Gräber an das Ende des Leben der Emigranten in einer Stadt, aus der sie nicht zurückkehren konnten. Die Fotografien enthalten, manchmal in Chiffren und Allegorien wie der Taube am Ende des Buchs, Hoffnung und Utopie, aber sie illustrieren das Utopische nicht.

Heinz Wittenbrink