Bau_Stoff_Wechsel: Bilder regenerativer Architektur

(c) Iwan Baan

24.01.23

Eine Architekturfotografie, die Gebautes nicht nur abbilden, sondern erfahrbar machen und mitgestalten will, muss in der beginnenden Realität des klimagerechten und regenerativen Bauens auch ihre Praktiken und ihre Ästhetik verändern. Wir fragen danach, ob sich schon etwas von diesen Veränderungen abzeichnet und wie sie aussehen können.

Bau_Stoff_Wechsel – Zur Ausstellung

Die physikalische Technosphäre – die Gesamtheit der von Menschen produzierten und extrahierten Materialien – wiegt mehr als 30 Billionen Tonnen. Auf jeden Quadratmeter der Erdoberfläche entfallen damit durchschnittlich 50kg an menschlichen Artefakten. Den größten Anteil daran – über 50% – hat die gebaute Umwelt. Anders als die Biosphäre regeneriert sich die Technosphäre kaum. Durch ihr exponentielles Wachstum beeinflusst sie die kritische Zone, in der das Leben seine eigenen Voraussetzungen produziert hat, immer gravierender – am deutlichsten spürbar in der Klimakrise.

Die Bauwirtschaft trägt direkt und indirekt rund 40% zum Ausstoß an Treibhausgasen bei, einen erheblichen Teil davon durch Zement und andere energieintensive Baustoffe wie Stahl. Die Versiegelung von Boden durch neue Gebäude und Infrastruktur zerstört Biodiversität und erschwert die Anpassung an ein immer heißeres Klima. Das ökologisch nicht nachhaltige Bauen verschärft die multiplen Krisen der Gegenwart nicht zuletzt dadurch, dass es lokalen Communities erschwert, ihre Beziehungen zur Umwelt gemeinsam zu organisieren. Pedro Gadanho bezeichnet in seinem Buch “Climax Change!” das Bauen, an das wir uns gewöhnt haben und mit dem wir auch hier in Graz alltäglich konfrontiert werden, als Ökozid. Architektur, die mit den planetaren Grenzen vereinbar ist, muss damit brechen.

Immer mehr Architekturbüros beziehen diese Notfallsituation in ihre Entwürfe und Planungen mit ein. Es wird mit anderen Baustoffen gebaut, die Beziehungen von Architektur, Stadt und Landschaft werden neu definiert. Regenerative architektonische Praktiken, deren Ziel ein positiver Beitrag der Gebäude zum materiellen und sozialen Stoffwechsel ist, vermeiden die Belastung der Umwelt durch einen Materialverbrauch, dessen ökologische und soziale Folgekosten vor allem die verwundbarsten Communities vor Ort und in den ärmsten Regionen der Welt zu tragen haben.

Eine Architekturfotografie, die Gebautes nicht nur abbilden, sondern erfahrbar machen und mitgestalten will, muss in der zögernd beginnenden Realität des klimagerechten und regenerativen Bauens ihre Praktiken und ihre Ästhetik verändern. Wir fragen in der Ausstellung Bau_Stoff_Wechsel danach, wie diese Veränderungen aussehen können und was davon sich bereits abzeichnet.

Die Bilder der Ausstellung gehören zu Projekten ökologisch und sozial regenerativer Architektur. Die fotografische Erforschung von Materialien und Konstruktionen findet Eingang in die Entwicklung architektonischer Lösungen. Sie ist nicht nur Dokumentation abgeschlossener Projekte, sondern Teil der gestalterischen Praxis von Architekturteams. Ein Schwerpunkt aller drei Arbeiten ist die Erschließung der Qualitäten von Materialien – Stein und Lehm oder aber aus einem Abbruchgebäude gerettete Bauelemente. Manche der Arbeiten beziehen über die Präsentation der Materialqualitäten hinaus den sozialen und ökologischen Kontext der Projekte ein.

Ansichten der Ausstellung
  • Ansicht der Ausstellung „Bau_Stoff_Wechsel
    Ansicht der Ausstellung „Bau_Stoff_Wechsel. (c) Iwan Baan, Foto: Martin Grabner
  • Ansicht der Ausstellung „Bau_Stoff_Wechsel
    Ansicht der Ausstellung „Bau_Stoff_Wechsel. (c) Iwan Baan, Foto: Martin Grabner
  • Ansicht der Ausstellung „Bau_Stoff_Wechsel
    Ansicht der Ausstellung „Bau_Stoff_Wechsel. (c) Iwan Baan, Foto: Martin Grabner
  • Ansicht der Ausstellung „Bau_Stoff_Wechsel
    Ansicht der Ausstellung „Bau_Stoff_Wechsel. (c) Iwan Baan, Foto: Martin Grabner
  • Ansicht der Ausstellung „Bau_Stoff_Wechsel
    Ansicht der Ausstellung „Bau_Stoff_Wechsel. (c) Iwan Baan, Foto: Martin Grabner
  • Ansicht der Ausstellung „Bau_Stoff_Wechsel
    Ansicht der Ausstellung „Bau_Stoff_Wechsel. (c) Iwan Baan, Foto: Martin Grabner
  • Ansicht der Ausstellung „Bau_Stoff_Wechsel
    Ansicht der Ausstellung „Bau_Stoff_Wechsel. (c) Lara Jacinto/Atelier Gørvell (links), Iwan Baan (rechts), Foto: Martin Grabner
  • Ansicht der Ausstellung „Bau_Stoff_Wechsel
    Ansicht der Ausstellung „Bau_Stoff_Wechsel. (c) materialnomaden (ganz links), Lara Jacinto/Atelier Gørvell (links), Iwan Baan (rechts), Foto: Martin Grabner
  • Ansicht der Ausstellung „Bau_Stoff_Wechsel
    Ansicht der Ausstellung „Bau_Stoff_Wechsel. (c) materialnomaden, Foto: Martin Grabner
  • Ansicht der Ausstellung „Bau_Stoff_Wechsel
    Ansicht der Ausstellung „Bau_Stoff_Wechsel. (c) materialnomaden, Foto: Martin Grabner
  • Ansicht der Ausstellung „Bau_Stoff_Wechsel
    Ansicht der Ausstellung „Bau_Stoff_Wechsel. (c) materialnomaden, Foto: Martin Grabner
  • Ansicht der Ausstellung „Bau_Stoff_Wechsel
    Ansicht der Ausstellung „Bau_Stoff_Wechsel. (c) materialnomaden, Foto: Martin Grabner
  • Ansicht der Ausstellung „Bau_Stoff_Wechsel
    Ansicht der Ausstellung „Bau_Stoff_Wechsel. (c) materialnomaden (links), Lara Jacinto/Atelier Gørvell (rechts), Foto: Martin Grabner
  • Ansicht der Ausstellung „Bau_Stoff_Wechsel
    Bau_Stoff_Wechsel. Ausstellungsraum am Abend. Foto: Martin Grabner
  • Ansicht der Ausstellung „Bau_Stoff_Wechsel
    Bau_Stoff_Wechsel. Ausstellungsraum am Abend. Foto: Martin Grabner
Zu Lara Jacinto: Atelier Gørvell, Falha Inversa

Lara Jacinto

Atelier Gørvell, Falha Inversa (Umkehrverwerfung)

2022

Stein als physisches Element steht im Zentrum der Arbeit des portugiesischen Atelier Gørvell. Die jungen Architekten haben sich mit dem Ziel einer radikal lokalen „0-km-Architektur“ dem on-site-recycling verschrieben, um einen Großteil der Emissionen, die beim Bauen entstehen, zu vermeiden.

In der Ausstellung Falha Inversa (Espaço São Victor, Porto, 2022) treten die Architekten in Dialog mit dem Stein als Abstraktes und Konkretes, als Symbolisches und Faktisches. Bei der titelgebenden Umkehrverwerfung (Schubverwerfung) bewirkt eine positive Spannung die Verschiebung eines Gesteinsblocks über die ursprüngliche topografische Ebene. Die tektonisch hervorgerufene Störung der gewohnten Ordnung schlägt eine neue Organisation der Materie vor. Sie verdeutlicht den engen, starren Rahmen unserer Ordnung, Katalogisierung, Vorstellung der Welt, sie bricht in Sekunden oder Minuten auf was die wir für unveränderlich halten. Diese Metaphorik versucht Atelier Gorvell in ihre Projekte zu übersetzen, sie hat aber eine viel weitere Gültigkeit.

Die Fotografie von Lara Jacinto zeigt die Materialien, die bei der Renovierung eines Apartments durch Atelier Gørvell gewonnen, neu geordnet und wieder verwendet wurden. Die Loslösung aus ihrem Kontext und Umdeutung in Objekte einer Ausstellung verweist auf die Allgemeingültigkeit der spezifischen Beobachtung. Die puristische Präsentation in einem einfachen Regal ist die ästhetische Entsprechung der Konzentration auf das Wesentliche: den materiellen Fußabdruck des Bauens.

Text: Martin Grabner

Zu Iwans Baans Aufnahmen des Tambacounda-Hospitals von Manuel Herz

Iwan Baan

Manuel Herz, Tambacounda Hospital, Senegal

2021

Das Tambacounda Hospital des Schweizer Architekten Manuel Herz entstand weniger als eine „architektonische Lösung“, sondern aus einem Forschungs- und Kollaborationsprozess. Das Entbindungs- und Kinderkrankenhaus im oft als die heißeste Stadt der Welt bezeichneten Tambacounda im östlichen Senegal baut auf der 15-jährigen Arbeit der Josef und Annie Albers Stiftung und La Korsa mit Dr. Magueye Ba auf. Entwickelt in einem Lernprozess, ist es nicht nur ein Gebäude, sondern reagiert auf die lokale Gemeinschaft und Wirtschaft, das Klima und die Landschaft und bettet sich produktiv in diese ein. Von der Entwicklung und Produktion der Bauteile, der Form und Konstruktion des Gebäudes bis zum funktionalen Konzept, alles entstand hier in interdisziplinärer Zusammenarbeit.

Die Fotografien von Iwan Baan erzählen von den Prozessen und Leben, die das Gebäude verkörpert, auslöst und mit denen es in Beziehung steht. Sie fragen nach seiner Genese aus dem Wissen über lokale Gegebenheiten und Bedürfnisse, Ökonomien und Ökologie, über die Bedeutung der Beteiligten und Nutzer*innen, über Material- und Geldkreisläufe. Wer baut? Für wen? Mit welchem Material? Was braucht es für einen nachhaltigen Betrieb? Was für die Entwicklung und Pflege einer Gemeinschaft?

Iwan Baan zeigt Architektur im Kontext ihrer Entstehung, ihres sozialen, ökonomischen und ökologischen Umfelds, versteht sie als Teil eines Prozesses. In seiner Arbeit verbindet der niederländische Fotograf Dokumentar- und Architekturfotografie. Er zeigt Leben und Interaktion von Menschen im und mit dem sie umgebenden gebauten Raum. Es sind Individuen, Gemeinschaften und Gesellschaften, die ihren Raum gestalten, aneignen und beleben.

Text: Martin Grabner

Zu Grellgasse, Wien

Benedikt Novak, HarvestMAP eGen, Daniel Hawelka

materialnomaden, Grellgasse, Wien

2017-2022

Ein ehemaliges Gebäude der OMV in Wien Floridsdorf sollte einem neuen Wohnbau weichen. Die materialnomaden / HarvestMAP eGen konnten vor und während dem Abbruch 2018 große Mengen an Bauteilen zerstörungsfrei ausbauen: Betonfassadenelemente, Fensterscheiben, Edelstahlgeländer, Handläufe, Deckenpaneele, Rollläden, Kastenelemente, Hängeleuchten, Natursteinplatten, Fliesen und vieles mehr. Sie werden im re:store angeboten und viele wurden am selben Grundstück in der Außenraumgestaltung des Neubaus wieder eingebunden.

Als Pioniere für zirkuläres Design verstehen die materialnomaden die gebaute Umwelt als Ressource, die sich an ständig verändernde Nutzungen und Bedürfnisse anpassen kann. Mit dem Ziel, kreislauffähige Prozesse in der Baubranche voranzutreiben, untersuchen sie das re:use-Potenzial von Vorgefundenem. Sie „ernten“ es und führen die Materialien neuen, oft überraschenden Verwendungen zu, die in Forschungsprojekten, mit Studierenden und Nutzer*innen kollaborativ und interdisziplinär entwickelt werden.

Die Fotografien zeigen die Bauteile als Ressource in verschiedenen Phasen eines werthaltigen Materialkreislaufs – beim „urban mining“ auf der Rückbaustelle und in neuen Verwendungen mit architektonischem und gestalterischem Mehrwert. Die dokumentarische Bildsprache entspricht den Anforderungen des Prozesses: als Vermessung des Vorgefundenen, Kategorisierung und neutrale Präsentation in einem Bauteilkatalog, wie er für auch neue Produkte üblich ist.

Text: Martin Grabner